He, Erwartung, du gehst mir echt ganz schön auf den Sack. Wieso schaffst du es immer wieder, dass wir die Ansprüche an andere (und uns selbst) so hochschrauben und in unseren Vorstellungen die Welt so machen, wie wir sie gerne hätten? Und dabei ganz außer Acht lassen, dass sie eben so ist wie sie ist.

Und so flüsterst du uns tagein, tagaus ins Ohr, dass

  • der Ehepartner
  • der beste Freund
  • die Nachbarin
  • der Vereinskollege
  • die im Auto vor mir
  • der im Zug neben mir
  • die Verkäuferin
  • der Politiker
  • der Geschäftspartner
  • der Fußballer meines Lieblingsvereins

einfach nicht das tut, was wir von ihm oder ihr erwarten. So machst du uns allen das Leben unnötig schwer.

Du lachst dir wahrscheinlich ins Fäustchen, wenn für uns wieder mal etwas nicht nach Wunsch läuft. Wie jämmerlich wir reagieren, wenn unsere Erwartungen von unseren Mitmenschen nicht erfüllt werden. Dann ärgern wir uns, leiden, sind wütend, schimpfen, lästern, zürnen, sind beleidigt, schmollen und zornen, was das Zeug hält.

Obwohl wir insgeheim wissen (oder es längst wissen sollten): Die anderen werden eh nie genau das tun, was wir von ihnen erwarten (oder zumindest nicht in dem Moment, in dem wir es erwarten). Warum? Weil wir Menschen alle zum Glück grundverschieden sind. Deshalb kann sich rein logisch meine Erwartungshaltung gar nicht mit dem Verhalten meines Gegenübers vollständig decken.

Aber, liebe Erwartung, irgendwie stellst du das geschickt an: Sobald eine unserer Erwartungen enttäuscht wurde, fahren wir sofort die nächste Erwartung auf. Anstatt irgendwann einmal zu kapieren, dass wir keinerlei Anrecht darauf haben, dass sich das Leben nach unseren Erwartungen abspielt. Sondern einfach tut, was es will.

Die 2 Optionen im Umgang mit der Erwartung

Eigentlich haben wir ja 2 Möglichkeiten, wie wir mit dir umgehen können. Entweder machen wir genau so weiter wie bisher und werden ein ums andere Mal enttäuscht. Oder wir verabschieden uns von dir so gut es geht und profitieren lebenslang. Frei nach dem Motto:

Wenn ich nichts erwarte, kann ich im Leben immer nur positiv überrascht werden.

Jetzt höre ich schon wieder viele Leser aufstöhnen und vor sich hinmurmeln: “Ja, wenn das nur so einfach wäre.” Ist es natürlich nicht. Aber es gibt Lösungsansätze, wie in diesem Artikel auf myMONK.

Gell, Erwartung, das gefällt dir jetzt nicht. Aber keine Angst. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Unsere Konsequenz bei nötigen Veränderungen lässt gerne zu wünschen übrig.

Das habe ich am eigenen Leib erlebt. Ich war im Umgang mit dir schon deutlich weiter, weil ich gemerkt hatte, dass meine Erwartungen an andere mich nicht weiterbringen und ich den Erwartungen anderer eh nicht vollständig gerecht werden kann. Kaum war ich letztes Jahr von meiner langen Reise zurück, habe ich mich dabei beobachtet, wie ich im “normalen” Leben mehr und mehr in den Strudel der Erwartungshaltung zurückgerissen wurde.

Zum Glück habe ich es gemerkt. Meinen Ärger darüber bekommst du, stets nervende Erwartung, heute in diesem Brief zu spüren. Weißt du nämlich, was ich festgestellt habe? Du engst mich ein, verringerst meine Offenheit und versperrst mir interessante Wege.

Wenn ich dagegen wenig (im Idealfall nichts) erwarte, bin ich bereit für alle Wendungen und Überraschungen des Lebens. Und das wiederum heißt: Ich brauche die Sicherheitszone meiner Wünsch-dir-was-Welt nicht mehr. Wenn ich die loslasse, kann ich mit deutlich weniger Angst durchs Leben gehen.

Größte Baustelle: Die Erwartungen an mich selbst

Das mit dem Loslassen der Erwartungen in Bezug auf andere klappt inzwischen wieder recht gut (aber immer noch schlechter, als es eigentlich mein fester Wille ist). Aber was die Ansprüche an mich selbst angeht, sehe ich noch eine größere Baustelle. Da will ich dich, du Klammeraffe namens Erwartungshaltung, endlich mal abschütteln.

Aber wie soll das gehen, wenn ich schon von mir erwarte, dass ich weniger Erwartungen haben soll? Irgendwie beißt sich da die Katze in den Schwanz. Langjährig trainiertes Leistungsgesellschafts-Denken gepaart mit einem ordentlichen Schuss Perfektionismus lässt sich eben doch nicht von heute auf morgen abschütteln.

Immerhin schüttele ich mich schon viel häufiger und kräftiger als früher. Und warte auf den Tag, an dem dir, du klebrig-zähe Erwartung, die Kraft ausgeht und du aufgibst. Ich tue dir den Gefallen nämlich nicht.

Das Fazit

So wenig wie möglich zu erwarten, heißt für mich, mein Leben aktiv zu gestalten. Wenn mein Glück nicht vom Verhalten anderer Menschen abhängig ist, kann ich die Opferrolle ablegen und ein wirklich freies Leben führen. Ohne Erwartungen keine Enttäuschungen. Und deutlich mehr positive Energie für die wirklich wichtigen Dinge.

Nix für ungut, liebe Erwartung. Aber wir werden keine Freunde mehr.

P.S.: Nur zur Definition: Erwartung darf nicht mit Bedürfnis verwechselt werden. Erwartung ist für mich der unausgesprochene Anspruch in Bezug auf das Handeln der anderen. Seine Bedürfnisse gegenüber anderen klar zu äußern, ist dagegen etwas sehr Positives.

Und jetzt erwarte ich von dir einen schönen Kommentar! Nein, Spaß beiseite. Wenn du aber von deinen Erfahrungen in Bezug auf Erwartungshaltung berichten magst, bist du herzlich dazu eingeladen. Siehst du die vielen Erwartungen, die wir an andere haben, auch so kritisch wie ich? Oder meinst du, dass Erwartungen zum Leben dazugehören und es gar nichts bringt, sich damit näher zu beschäftigen? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

Foto: Unsplash.com