Klettern Nima Höhenangst

Eine der größten Herausforderungen des Lebens – wenn nicht gar die größte überhaupt – ist es, seinen Ängsten ins Auge zu schauen. Viele kleine und große Ängste hindern uns täglich daran, unser Leben in all seinen Möglichkeiten auszuschöpfen. 

In der Serie “Nur Mut”, die regelmäßig auf diesem Blog erscheint, befrage ich Menschen, die sich ihren Ängsten in den unterschiedlichsten Bereichen gestellt haben oder stellen, die mutig durchs Leben schreiten. Diese erzählen, wie sie davon profitiert haben und welche Auswirkungen das auf ihr Leben hatte. Zudem kommen auch Experten zu diesem Thema zu Wort.

Nima Höhenangst kannst alles

In Teil 7 der Serie stellt sich Nima Ashoff meinen Fragen. Die 40-Jährige ist Entspannungspädagogin und systemischer Coach und befasst sich gerne mit Allem, was mit Angstbewältigung zu tun hat. Dabei kommen ihr ihre eigenen Ängste beim Sport als Übungsobjekt gerade recht. Die Mission ihres Blogs Abenteuer Spanien ist es, ihre Leidenschaft für Spanien, fürs Klettern und fürs Biken mit Interessierten zu teilen und das unbekannte Spanien vorstellen.

Hallo Nima, du beschreibst in einem Artikel über Mut folgende Szene: Du stehst beim Klettern in der Wand und kommst vor lauter Angst keinen Millimeter mehr weiter. Unten steht dein Freund und fängt zu singen an. Klingt unglaublich lustig. Aber wie ging es dir in dem Moment?

Zum Lachen war mir definitiv nicht zumute, ganz klar!

Ich klebte in ungefähr sechs Metern Höhe panisch am Fels und kam nicht mehr weiter. Vom nächsten winzigen Tritt ist mir vor Zittern ständig das Bein weg gerutscht, so dass ich immer unsicherer wurde. Runterzugehen war aber auch keine Option, denn dann hätte ich ins Seil springen müssen.

Das Singen meines Freundes hat dann letztlich den Knoten gelöst. Ich hatte etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte. An seinen Gesangskünsten können wir aber durchaus noch arbeiten …

Ich habe höchsten Respekt vor dem, was du dich traust. Schließlich hast du wegen deiner Höhenangst erst mit dem Klettern begonnen. Würdest du mir das auch raten – beziehungsweise allen Menschen mit Höhenangst?

Nur dann, wenn du dich durch die Angst in deinem Leben eingeschränkt fühlst. Man muss aus meiner Sicht nicht alle Ängste angehen und „bearbeiten“. Schließlich kann man mit einigen auch gut leben und sich arrangieren. Wenn es aber so ist, dass man nur noch Vermeidungsstrategien fährt und die Lebensqualität leidet, dann rate ich dazu, sich der Angst zu stellen.

Für mich war Klettern eine spannende Option, da ich mich gerne sportlich betätige und die Berge mag. Letztlich gibt es aber auch andere Möglichkeiten, an Höhenangst zu arbeiten. Klettern bietet den Vorteil, dass man leicht beginnen und Erfolge erzielen kann. Keiner muss direkt eine 30-Meter-Route klettern, 5 Meter oder weniger sind schon mal ein guter Anfang.

Wenn ich meine Höhenangst angehen will, muss ich mich den angstauslösenden Situationen stellen. Nur ist die bei mir relativ stark ausgeprägt, schon von frühester Kindheit an. Wie finde ich also die richtige Dosis, um mich nicht zu überfordern?

Die richtige Dosis kennst letztlich nur du selber. Wenn du auf einer hohen Treppe wackelige Beine bekommst, dann fange hier mit dem Üben an. Du musst dich nicht direkt in die Berge stürzen, wenn deine Angst so stark ausgeprägt ist.

Setze dir kleine Ziele und übe kontinuierlich. Es ist wichtig, am Ball zu bleiben und Erfolgserlebnisse zu erzielen – diese können noch so klein sein!

Ganz entscheidend ist mir persönlich, Unterstützung zu haben. Sollte die Angst doch mal überhand nehmen, beruhigt es mich zu wissen, dass jemand für mich da ist, der mich ernst nimmt und mir hilft. Dazu ist es aber auch notwendig, offen über die eigene Angst zu sprechen.

Wenn ich Panik vor Spinnen habe, passiert mir nichts, wenn mir eine über das Gesicht krabbelt. Wenn ich aber Panik bei einer Bergwanderung bekomme, kann es lebensgefährlich werden. Ist Höhenangst deshalb besonders schwer in den Griff zu kriegen?

Da hast du mit den Spinnen ein tolles Beispiel herausgesucht. Bei der Vorstellung, dass mir eine über das Gesicht krabbelt, werde ich gerade ganz blass … Wenn mir eine beim Autofahren über die Hand laufen würde, wäre das durchaus nicht ohne.

Ob Höhenangst besonders schwer in den Griff zu bekommen ist, kann ich gar nicht sagen. Klar kann es sehr gefährlich werden, wenn man auf einem ausgesetzten Weg oben auf einem Berg panisch wird. Daher ist es absolut wichtig, seine Grenzen zu kennen und sich nicht zu überfordern. Es gibt Dinge, die ich genau aus diesem Grund nicht machen würde.

Bei Höhenangst muss man auch immer seine Tagesform berücksichtigen. An manchen Tagen läuft es bei mir super, an anderen bekomme ich schon bei den leichtesten Herausforderungen Probleme. Wenn es nicht geht, muss man rechtzeitig Nein sagen können.

Grundsätzlich ist es kein lustiger Spaziergang, sich Höhenangst zu stellen. Der Grad zwischen Kneifen und seine Grenzen kennen ist manchmal sehr schmal.

Klettern Kannst alles Nima

Was hat sich denn bei dir im Speziellen geändert, seit du kletterst – sprich, in welche Richtung hat sich das Thema Angst verschoben?

Durch das Klettern habe ich viel mehr Selbstvertrauen bekommen, auch in anderen Lebensbereichen. Wenn ich heute vor etwas Angst habe, erinnere ich mich daran, was ich mich beim Klettern schon getraut habe – das spornt an!

Meine Höhenangst ist auch heute noch da, wobei es weniger die Angst vor der Höhe als vor dem Fallen ist. Ich kann beim Klettern entspannt im Gurt sitzen und aus 20 Metern Höhe runter schauen, da fühle ich mich sicher. Aber sobald die Möglichkeit des Stürzens gegeben ist, bin ich in Alarmbereitschaft.

Heute vermeide ich diese Situationen nicht mehr, sondern gehe sie ständig aufs Neue an. Ich habe sogar mit dem Bouldern, also Klettern ohne Seil, und dem Mountainbiken angefangen.

Wirklich verändert hat sich meine Einstellung zu Ängsten. Ich lasse mich nicht mehr durch sie bestimmen, sondern entscheide bewusst, ob sie mich einschränken, und dann gehe ich sie in meinem Tempo an.

Du bist ja auch ausgebildete Entspannungspädagogin. Inwiefern hat dir das geholfen?

Das ist eine große Hilfe, ganz eindeutig. Aber ich bin auch bloß ein Mensch, und so reagiere ich auch. Wenn die Angst gerade mal überhand nimmt, vergesse ich meine Ratschläge selbst schon mal. Daher war das Singen meines Freundes eine tolle Hilfe, um mich an die Lösungen zu erinnern.

Ich wende selber Entspannungstechniken wie zum Beispiel die Progressive Muskelentspannung an, um in akuten Momenten Stress abzubauen.

Mentales Training finde ich super, um mich auf schwierige Situationen vorzubereiten und sie gedanklich durchzuspielen. Das gibt Sicherheit, und ich kann so im Vorfeld Lösungsstrategien üben.

Meditiert habe ich auch lange Zeit, mache es aber aktuell nicht mehr. Klettern ist für mich Meditation, denn hier ist man mit seiner ganzen Aufmerksamkeit fokussiert. Über Probleme nachzudenken, ist während des Kletterns einfach unmöglich.

Entspannung in angstauslösenden Situationen klingt auf dem Papier immer so einfach, ist aber in der Praxis so schwer. Gibt es ein paar unschlagbare Tipps oder Techniken, die du immer wieder anwendest?

Da sind wir schon wieder beim Singen. Singen – oder Summen – verändert den Atem, man atmet länger aus. Langes Ausatmen trägt zur Entspannung bei, deshalb ist Singen ideal!

Eine andere Notfall-Variante ist für mich, so viele Muskeln wie möglich anzuspannen, die Spannung cicra 15 Sekunden zu halten und dann mit einem Mal wieder locker zu lassen. Dadurch lösen sich die durch die Angst verspannten Muskeln, was wiederum einen positiven Effekt auf die Psyche hat.

Unser Bedürfnis ist es ja, aus angstauslösenden Situationen zu flüchten. Das macht es aber langfristig nicht besser. Daher versuche ich, soweit es nicht gefährlich für mich ist, in der Situation zu bleiben und zu warten, bis die Angst weniger wird.

Nima Höhenangst

Ich kann mich zum Beispiel durch Yoga und Meditation super entspannen. Aber sobald ich in einem Film einen Bergsteiger über einen Grat laufen sehe, fange ich schon zu schwitzen an. Lässt sich daran auch mental arbeiten?

Und ob, unser Gehirn ist nämlich unser stärkster „Muskel“. Wir können uns gedanklich alles Mögliche vorstellen, sogar einen Flug zum Mond. Diese Kraft der Gedanken sollte man unbedingt für das Üben nutzen.

Du kannst dir zum Beispiel vorstellen, wie du in einem Angstmoment deine Techniken anwendest und die Situation so erfolgreich bewältigst. Ängste entstehen doch oft im Kopf, deshalb sitzt da auch ein wichtiger Teil der Lösung.

Mal weg vom Klettern: Du planst, mit deinem Freund, euren Hunden und eurem Reisemobil „Horst“ nächstes Jahr nach Spanien auszuwandern. Bekommst du manchmal Angst vor diesem mutigen Schritt? Und falls ja, wie gehst du damit um?

Ich habe schon so einige mutige Schritte in den letzten Jahren gewagt, so dass mir dieser eigentlich keine Bauchschmerzen bereitet. Es steht ja schließlich keine reale Bedrohung an. Aber ich mache mir natürlich auch manchmal Sorgen, da bin ich ziemlich kreativ.

Wenn ich feststelle, dass sich meine Gedanken in eine solche Richtung verselbstständigen, trete ich auf die Bremse und sage mir: „Das ist nicht real, sondern nur in meinem Kopf. Wenn ein Problem auftritt, dann werde ich auch eine Lösung finden.“

Es hilft mir, aktiv etwas zu machen, statt zu grübeln. Das Leben geschieht, ob ich mir vorher Sorgen mache oder nicht. Vielleicht male ich mir jetzt irgendeine finanzielle Angst aus und dann passiert stattdessen was ganz anderes? Dann hätte ich ganz viel Lebenszeit mit Gedanken verschwendet, die mir nicht gut tun. Also vertraue ich lieber darauf, dass wir eine tolle Zeit haben werden – mit Höhen und auch Tiefen.

Zum Schluss die Frage, die an alle Interviewpartner geht: Das beste Mittel gegen die Angst ist …

… nicht von Ratiopharm, sondern bist du selber!

Vielen Dank, Nima, für das Interview!

 

Foto: © Depositphotos.com/photobac

Du interessierst dich für die weiteren Teile der Serie “Nur Mut!”? Hier findest du sie:

  1. Alleinreisen
  2. Panikattacken
  3. Der Experte Dr. Dogs
  4. Selbstständigkeit und Existenzsorgen
  5. Der Abenteurer
  6. Flucht aus der Heimat