Mittwochabend, kurz nach 22 Uhr. Ich sitze am Steuer eines Fiat Panda, fahre gerade die ersten Kilometer vom Flughafen Alghero Richtung Norden. Ein Flugzeug donnert im Landeanflug über uns hinweg und ich kann es noch immer nicht fassen.

Das mit dem Fiat Panda schon. Klingt schlimmer, als es ist. Eher die Tatsache, dass ich vor 25 Minuten aus einem Flugzeug gestiegen bin, das an einem anderen Ort gestartet war. Ich bin also geflogen. Nach 24 Jahren wieder.

Obwohl ich das nach meinem vorletzten Flug – fast hätte ich in langjähriger Tradition letzter geschrieben – im Jahr 1992 kategorisch ausgeschlossen hatte. Definitiv. Nicht verhandelbar. Weder mit viel Geld noch mit Waffenzwang.

Ist das wirklich passiert?

Jetzt sitze ich auf Sardinien im Sonnenuntergang auf der Terrasse unseres Appartements. Rund 100 Kilometer von Alghero entfernt sehen wir die Urlaubsflieger einschweben.

Ich schaue nach oben und denke mir: „Ist das wirklich passiert? Habe ich das tatsächlich getan und bin in so einem Ding gesessen?“ Meine Frau sagt ja. Die sollte es wissen, schließlich saß sie von Memmingen bis hierher neben mir.

Folgende SMS hatte sie kurz vor dem Start an ihre Schwester geschrieben: „Jetzt geht’s gleich los. Wir sitzen auf der Rollbahn und Mischa ist noch an Bord.“

Die Frage war: Ziehe ich das wirklich durch?

Als ich das gelesen habe, musste ich laut lachen. Denn genau genommen war das die Frage, die immer irgendwo rumspukte: Zieh ich es wirklich durch? Oder gehe ich ganz kurz vor dem Ziel (also genau genommen vor dem Start) stiften und blase das Unternehmen „Mutausbruch“ ab?

Lustigerweise ist das in dem Moment, als uns eine Freundin am Flughafen absetzt, überhaupt kein Thema mehr. Wie ein kleines Kind freue ich mich über die ganze ungewohnte Prozedur: Gepäck aufgeben, Sicherheitscheck, Boarding. Versteht sich von selbst, dass der größte Flugschisser des letzten Vierteljahrhunderts als Erster durchs Flughafengebäude auf die Rollbahn tritt, als wäre es das Normalste von der Welt.

Spezialist für Start und Landung

Als Erster auf die Rollbahn? Versteht sich von selbst!

Nichts zu spüren von Panik, die manche Menschen schon beim Anblick des Flughafens erfasst. Die dann umdrehen und lieber ihr Ticket verfallen lassen, als sich in den Flieger zu setzen.

Auch dem Reflex, in der Wartezone noch ein Beruhigungsbier zu nehmen, habe ich nicht nachgegeben. Ich möchte diesmal unbedingt spüren, wie sich das Fliegen ohne Hilfsmittel anfühlt.

„Spar dir den Wahnsinn!“

Dabei war ich die Tage zuvor definitiv nicht mehr entspannt gewesen. Die Vorfreude auf den großen Coup wurde in immer kürzeren Abständen von Gedanken wie „Muss das sein?“, „Du hast doch auch ohne Fliegen ein schönes Leben“, „Spar dir den Wahnsinn, pack deinen Bus und in 20 Stunden bist du auch auf Sardinien“, „Wolltest du nicht zuerst ein Flugangst-Seminar bei der Lufthansa machen und jetzt fliegst du ausgerechnet mit Ryanair???“ unterbrochen.

Ich wusste, dass ich es tun werde. Gleichzeitig konnte ich mir es nicht vorstellen. Ein ziemlich surrealer Film, der da ablief.

Diese Momente, als ich gemerkt habe, dass all meine Tools, Mentaltechniken, Entspannungstechniken & Co. für diese ganz spezielle Sache nur noch bedingt wirken. Das Ereignis „Mischa sitzt in einem Flugzeug über den Wolken“ war für mich nicht richtig greifbar.

Genau eins stand für mich fest: Ich kneife definitiv nicht. Komme, was wolle. Sonst werde ich die Antwort auf die Frage, ob das mit dem Fliegen und mir noch einmal was wird, nie mehr bekommen.

Meine Liebe für heftige Beschleunigung

Der Tag der Entscheidung zog sich durch die Abflugzeit von 20.15 Uhr ganz schön in die Länge. Um kurz nach 17 Uhr wusste ich, dass ich etwas gegen die Verkrampfung und die Adrenalin-Flut tun muss. Also hinauf aufs Mountainbike und eine kurze, aber brutale Auspower-Runde gedreht. Danach duschen, 20 Minuten auf den Boden legen und tief atmen, dann war ich startklar.

Apropos Start: Meine Liebe für heftige Beschleunigung – ich durfte früher schon mal bei DTM-Pilot Martin Tomczyk in seinem Rennboliden mitfahren – hat sich über all die Jahre zum Glück erhalten. Als es losging, habe ich mit pochendem Herzen laut gelacht und mir gedacht: „Unglaublich, jetzt ist es wirklich so weit.“

Was will mein Körper 10 Kilometer über dem Erdboden?

Den Blick aus dem Fenster auf die unfassbar schöne Sonnenuntergangsstimmung bzw. das letzte Verglühen des Tageslichts habe ich einige Male genossen (das konnte ich früher nie). Sogar Fotos schießen ging (O-Ton meiner Frau: „Das ist ja schon Königsdisziplin!“)

Dann kamen wieder die Momente, in denen ich nicht so recht wusste, was mein Körper hier 10 Kilometer über dem Erdboden eigentlich will. In denen mein Herz schon gewaltig an Tempo zulegte, ich fahrig wurde und ich mich versucht habe, über einen Film auf meinem Smartphone einigermaßen abzulenken.

Atmen, geschehen lassen, das Ruckeln der Maschine weglächeln, so gut es geht. Nein, ich habe nicht erwartet, diese Nummer auf einen Schlag cool wie ein professioneller Vielflieger auszusitzen. Vielleicht kommt das noch. Vielleicht auch nicht.

Das Wichtigste: mich in jedem Moment zu spüren

Ist auch egal. Viel wichtiger war, mich darauf einzulassen. Auf etwas, das über ganz lange Zeit jenseits meiner Vorstellungskraft war.

Und mich in jedem Moment zu spüren. Nicht wie bei früheren Panikattacken die Angst weggaloppieren lassen, sondern immer noch bei mir zu sein – selbst wenn mir die Schweißperlen auf der Stirn stehen und ich mich am liebsten 10 Kilometer tiefer in meinen geliebten Dr. D wünschen würde.

Immerhin war ich beim Landeanflug und der Landung schon wieder zum Witzeln aufgelegt. Das Verabschieden vom Chef-Steward mit meinem fettesten Grinsen und der Gang von der Rolltreppe fühlten sich an wie das Normalste der Welt.

Was ich daraus gelernt habe

Was ich aus meiner Rückkehr in die Fliegerei gelernt habe? Vor allem, dass ich nicht mehr kneife, wenn mir etwas richtig wichtig ist – mit allen damit verbundenen Konsequenzen.

Bei vielen anderen Dingen in den vergangenen drei Jahren fiel mir das oft sogar verhältnismäßig leicht. Diesmal waren es verschärfte Bedingungen, denen ich standgehalten habe.

Ich darf mich alles trauen und ich darf dabei auch ordentlich beschleunigten Puls und Schweißperlen auf der Stirn haben. Das ist die wichtigste Botschaft für mich selbst.

Vielleicht bin ich gar nicht der Typ, der die meisten Dinge super entspannt hinter sich bringt. Aber ich bin der Typ, der die Dinge hinter sich bringt. Manchmal kommt die Entspannung mit Verspätung.

Ein Riesenthema mit so vielen Facetten

Mit so vielen Menschen habe ich in den vergangenen Wochen über das Fliegen gesprochen. Ein Riesenthema mit unglaublich vielen Facetten. Alle wollen es, die meisten tun es, die wenigsten lieben es.

Ich kenne Menschen, die geflogen sind, aber es sich nicht mehr trauen. Ich kenne Menschen, die noch nie geflogen sind, weil sie es sich nicht trauen. Ich kenne Menschen, die tierisch Schiss vorm Fliegen haben und sich trotzdem jedesmal wieder in den Flieger setzen. Ich kenne Menschen, die sich mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln ihre Flüge erträglicher machen. Und ich kenne Menschen, für die Fliegen so ist wie für andere ein Butterbrot schmieren.

Die lustigen Reaktionen auf meinen Ryanair-Flug

Die meisten sind sich zumindest darin einig, dass Ryanair nicht die geilste Art des Fliegens ist. Die Reaktionen auf mein Foto bei Facebook waren insofern spannend, weil ich nicht den geringsten Zweifel daran hatte und habe, dass die lustigen Iren mich sicher ans Ziel bringen. Insofern habe ich wohl im Bereich Vertrauen und Loslassen schon ziemlich große Fortschritte gemacht.

Deshalb habe ich mich für meine Rückkehr in die Fliegerei auch gerne feiern lassen. Unglaublich, wie viele liebe Menschen mir danach Feedback gegeben haben.

Ich kam mir vor wie ein kleiner Held. In meiner Welt bin ich das auch. Und jetzt freue ich mich auf den Rückflug in einer Woche.