Ich liebe es, Mut zu machen. Und ich liebe es, von einem Mutausbruch anderer Menschen zu hören oder zu lesen. In den zwei Jahren seit Bestehen des Blogs habe ich immer wieder beeindruckende Nachrichten von Lesern bekommen, die etwas gewagt haben, was sie sich zuvor nie zugetraut hätten oder was ihre Angst verhindert hatte.

Somit war es ein logischer Schritt für mich, die Serie „Mein Mutausbruch“ zu starten. Ich fasse hier die mutmachenden Geschichten meiner Leser zusammen, die sich irgendwann einmal gesagt haben „Ich kann und mach das jetzt – egal, was dabei passiert.“

Vier Jahre lang haben Ängste und Panikattacken das Leben von Tihana bestimmt. Doch irgendwann war sie es leid und begann, mit Hilfe von The work von Byron Katie an sich und ihren Gefühlen zu arbeiten. Mit unglaublichem Erfolg: Kürzlich hat sie sich zum ersten Mal wieder getraut, mit dem Auto durch einen Tunnel zu fahren. Und es kommt noch viel besser: Sie ist im Mai mit ihrer Familie in die Türkei geflogen, obwohl sie sich das vor wenigen Monaten noch nicht einmal im Ansatz hätte vorstellen können. Hier kommt die Geschichte, wie Tihana aus ihrem alten Leben abgehoben ist.

Die Frau mit der hammermäßigen Energie

Tihana lacht und lacht und lacht. Das einstündige Telefonat mit der 29-Jährigen ist eines der lustigsten, an das ich mich je erinnern kann. Immer wieder denke ich mir: „Wow, diese Frau hat ja eine hammermäßige Energie!“

Als treue Leserin meines Blogs kenne ich sie schon länger (zumindest virtuell). Was sich hinter ihrer Geschichte verbirgt, habe ich erst mitbekommen, als wir gemeinsam an einer Facebook-Challenge teilgenommen haben. Dort ging es darum, seine Komfortzone zu erweitern.

Tihana nahm das gleich wörtlich und schrieb eines Tages „Ich bin gerade mit meinem Auto durch einen Tunnel gefahren, den ich die vergangenen 4 Jahre wegen meiner Angst gemieden habe.“ Da bin ich natürlich hellhörig geworden und habe nachgefragt.

Tunnel oder Umweg?

Tihana wohnt im wunderschönen Wangen im württembergischen Allgäu. Wenn sie nach Kempten zum Einkaufen fahren will, muss sie entweder durch den 700 Meter langen Felderhaldetunnel bei Isny fahren oder einen ziemlich großen Umweg in Kauf nehmen. Bis vor wenigen Wochen hatte sie sich immer für den Umweg entschieden. Tunnel war für sie gleichbedeutend mit Platzangst. Keine Fluchtmöglichkeit im Fall der Fälle.

Diesmal, Anfang Mai, war Schluss mit dem Ausweichspiel. Über ihre intensive Arbeit mit „The work“ (dazu später noch mehr) wusste sie, dass all ihre Ängste sich nur in ihrem Kopf abspielen und nicht real sind. Dass es nur ihre alten Muster mit dem Glaubenssatz „Das schaffst du nicht“ sind, die sie abhalten.

Und dass sie sich nicht auf den angstmachenden Prozess – also das Durchfahren des Tunnels – konzentrieren darf, sondern auf das positive Ziel, das dahinterliegt. In ihrem Fall das Shopping-Erlebnis in Kempten verbunden mit einer deutlich verkürzten Anfahrt. „Beim Hineinfahren war ich noch etwas angespannt, später bei H&M dagegen tiefenentspannt. Und auf dem Rückweg habe ich gar nichts mehr gemerkt von der früheren Angst“, erzählt Tihana stolz.

Eine Diagnose, die schwer zu schaffen macht

Eine riesengroße Erleichterung nach vier Jahren, in denen sie sich und ihr Leben immer wieder in Zweifel gezogen hatte. 2012 erste Panikattacke, von Arzt zu Arzt gerannt, um irgendwann die Diagnose „Generalisierte Angststörung“ zu bekommen (persönliche Anmerkung von mir: Diese Art von Diagnosen in der Psychotherapie halte ich für gefährlich, weil sie den Patienten einen Stempel aufdrücken, den sie oft ein Leben lang nicht mehr loswerden, weil sie sich nur noch über ihre Angststörung definieren).

Tihana wollte das einerseits nicht glauben („Stimmt das wirklich? Ich bin doch nicht bescheuert!“), andererseits machte ihr die Diagnose schwer zu schaffen. „Psychisch krank zu sein war für mich gleichbedeutend mit irre“, erzählt sie.

So drehte sich die nächsten Jahre alles um das eine Thema. „Ich habe meine Angst durch meine Gedanken immer weiter aufrecht erhalten“, sagt Tihana. Sie hatte sogar Angst davor, wie ein Leben ohne Angst aussehen könnte. „Beim Gedanken daran habe ich eine große Leere gefühlt, da ich ja jedes Gefühl mit Angst assoziiert habe.“

Türöffner in ein Leben ohne unnötige Ängste war für sie die Beschäftigung mit „The work“ von Byron Katie. Die darin vermittelten Erkenntnisse und Themen fand sie so spannend und hilfreich, dass sie diverse Seminare besucht hat und eine Ausbildung anfangen hat.

“Ist dieser Gedanke wahr? Oder vielleicht sogar das Gegenteil davon?”

Kurz beschrieben geht es bei „The work“ um Achtsamkeit, um bewusste Wahrnehmung aller eigenen Gedanken und Gefühle und das ständige Hinterfragen derselben. Also stellt sich Tihana immer wieder die Frage „Kann ich sicher sein, dass das wahr ist? Oder ist vielleicht sogar die Umkehrung des Gedankens wahr? Und wie finde ich Beweise für das eine oder andere?“

Neben dieser positiven Entwicklung durch die Seminare gab es einen weiteren großen Antrieb. „Ich habe viel erlebt, habe ein Frühchen bekommen und hatte ein Trauma zu bewältigen. Doch das alles gehört zu mir und ich war mir immer sicher: Ich schaffe das trotz allem“, sagt Tihana.

So staunte ihr Mann nicht schlecht, als sie ihm erzählte, dass sie gerne mit ihm und den zwei Kindern in den Badeurlaub nahe Side in der Türkei fliegen würde. „Du kannst doch nicht einen Flug buchen, wenn du Angst vorm Fliegen hast“, sagte er zu ihr. Sie sagte: „Doch.“ Und wusste, dass sie auch diesen großen Schritt meistern würde.

Die Aufregung vor dem Flug: Wie ein Tiger im Käfig

Bis vier Tage vor dem Flug die große Aufregung kam. „Wie ein Tiger im Käfig bin ich hin- und hergelaufen“, erzählt Tihana. Plötzlich tauchte die Frage auf: „Bin ich wirklich schon so weit?“ Dann wendete sie bewusst die gelernten Techniken an, fragte sich, vor was sie eigentlich genau Angst hat, schrieb jeden ihrer Gedanken dazu auf (zum Beispiel: „Ich habe Angst vor Enge“ oder „Ich bekomme im Flugzeug nicht genug Luft“), fragte sich „Stimmt das?“ und suchte Beweise für das Gegenteil.

Mit Erfolg: Leichte Aufregung und ein wenig Schwindel, sonst merkte sie nichts – außer einer riesengroßen Freude mit Blick auf die Wolken. Ich habe mir gesagt: „Das, was da ist, darf da sein. Hätte ich Widerstand gegen meine Angst geleistet, hätte ich sie nur verstärkt.“

Als sie ihrem Chef, einem dem Thema gegenüber sehr aufgeschlossenen Zahnarzt, eine Nachricht mit dem Inhalt „Ich sitze im Flugzeug!“ schrieb, kam zurück: „Ich wusste es.“ Tihana selbst wusste es auch vorher schon: „Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich einsteigen und es genießen werde.“

Nicht Konfrontation, sondern das Gefühl ist wichtig

Ihr ist es ganz wichtig, dass die Fahrt durch den Tunnel und das Fliegen nichts mit Konfrontationstherapie, die oft bei Angstpatienten angewendet wird, zu tun hatten. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus hält sie nämlich nichts davon, gegen das anzurennen, vor dem man Panik hat, um seine Angst in den Griff zu bekommen. „Wenn das Gefühl dazu nicht passt, bringt das alles überhaupt nichts“, sagt sie (eine Meinung, die ich uneingeschränkt teile). Erst als sie sich intensiv ihren Gedanken und Gefühlen gewidmet hat, war sie zu ihren Mutausbrüchen fähig.

Tihana ist also so richtig zurück im Leben. Stärker, mutiger und wahrscheinlich auch lustiger als je zuvor. Ihr Ziel ist es, von nun an jedes Jahr woanders hin zu reisen. Sie möchte ihr Leben genießen und sich immer weiterentwickeln. „Das ist eh wahnsinnig, was sich schon alles bei mir getan hat“, sagt sie. Frühere Kontrollzwänge hat sie abgelegt: „Ich bin lieber verwirrt als strukturiert“, erzählt sie und lacht einmal mehr schallend.

Tihana will ihre positiven Erkenntnisse weitergeben

Und die Arbeit mit „The work“ wird weitergehen. Nach ihrer Ausbildung möchte Tihana all das Positive weitergeben. Erste Coachings im Freundeskreis gab es schon. „Ich liebe es zuzuhören und mit Menschen zu arbeiten.“

Ich bin mir sicher, dass Tihana mit dieser geballten Lebenslust und -Freude noch weiter abheben wird. Absolut faszinierend, wie sie sich nicht mit ihrer Situation arrangiert, sondern neue Wege gefunden hat. Ich ziehe den Hut!

Hast du auch schon mal etwas Verrücktes gewagt, was du dir selbst und auch sonst niemand zugetraut hätte? Wann hast du einmal der Angst ins Gesicht gelacht und gesagt: „Ich mach das jetzt trotzdem!“? Wenn ich auch deine Geschichte erzählen darf, dann schreib mir gerne an mischa@adios-angst.de – ich freu mich drauf!